Von Cachi nach Salta Tag 1

Wir nutzten den Vormittag für einen Sonntagsspaziergang durch Cachi, wie es offensichtlich die Cachianer – etwa 2200 Einwohner – auch taten. Man promenierte, ging einkaufen oder machte eine Familienspritztour auf dem Motorrad. Und man ließ sich gern fotografieren.

Wir haben uns umentschieden, sind nicht die wahrscheinlich noch unwegsamere Straße nach San Antonio de los Cobres auf über 4000 Meter Höhe gefahren, wie wir es geplant hatten, sondern nach Salta. Diesmal war es Dieter, der meinte, dass die Straße ihm zu riskant sei. Wir haben es nicht bereut. Durch die Hochebene Cuesta Del Obisco führte eine hervorragend ausgebaute, asphaltierte Straße mitten durch den Nationalpark “Los Cardones” und alle fünf bis fünfzehn Kilometer gab es Miradores mit Schautafeln, auf denen Informationen zu diesem einzigartigen Kaktus, dem “Cardon” gegeben wurden.

Wir staunten nicht schlecht: acht bis zehn Jahre kann er nur unter dem Schutz einer anderen Pflanze gedeihen und ist nicht größer als fünf Zentimeter hoch. Wir konnten kein einziges Kaktusbaby erspähen. Erst wenn er diese Jahre unter dem Schutz seiner Nanni überlebt hat, kann er zu einem Riesen werden.

Gegen halb fünf kamen wir in der angeblich schönsten Stadt von Nordwest-Argentinien an. Es war Sonntag, tote Hose überall. Wir fuhren durch Straßen, die weder schön noch einladend waren. Bei der Unterkunft mussten wir zweimal klingeln, bis der etwas verschlafen wirkende Gastwirt uns öffnete. Hatte er gar nicht mit uns gerechnet? Doch, alles war richtig. Er fragte, ob wir lieber Spanisch oder Englisch sprechen möchten. Das war ja mal eine Chance. Aber klar, wenn es drauf ankam, wechselten wir ins Englische. Er stellte sich als Riccardo vor, er sei Italiener und mit einer Deutschen verheiratet, die aber gerade mit Töchterchen in Ravensburg sei. Na, sowas! Wir dürften die ganze untere Etage benutzen. Es gab eine Bibliothek, einen Drucker im Wohnzimmer, ein wunderbar antik eingerichtetes Frühstückszimmer und einen herrlichen Garten. Prima! Abends haben wir uns das Zentrum von Salta angeschaut. In der pompösen Kathedrale fand gerade eine Messe statt. Die Tür war weit offen, die Kirche gut gefüllt, und die Andacht schallte über die ganze Plaza 9 de Julio.

Wir suchten uns eines der Cafés aus, von wo aus wir das abendliche Treiben beobachten konnten. Es füllte sich. Wie schon erwähnt, isst man in Argentinien kaum vor 21 Uhr.

Von Cafayate nach Cachi

Wir schauten uns am Morgen noch das originell gestaltete Haus des ortsansässigen Künstlers, Manuel Cruz, an, und dann ging es weiter, Richtung Cachi.

 

Immer die legendäre Ruta Nacional 40 entlang, eine endlose, staubige Schotterpiste, durch faszinierende Felsformationen hindurch, vorbei an einem Naturmonument, das sich vor Millionen von Jahren aus einem See geformt hatte, vorbei an ärmlichen Häusern, an einer Kirche, einer Schule – immer mit Spielplatz -, das wurde dann sofort als Dorf bezeichnet. Vor einigen Häusern war Wäsche aufgehängt, also mussten dort tatsächlich Menschen leben.

 

Da die RN 40 mit Kilometerschildern bestückt ist, die die jeweilige Entfernung zum Land’s End in Feuerland angeben, nahmen wir uns vor, bei Kilometer 4444 ein Foto zu machen. Doch schon bei Kilometer 4400 wurde uns klar, dass dieses Schild nicht mehr am Pfosten sein würde, sondern geklaut von einem egoistischen Abenteurer früherer Zeiten, und jetzt sicher als einzigartiges Reiseandenken in seinem Schlafzimmer aufgehängt. Wenn wir den erwischen!

Dieter wusste sich zu helfen. Bei Kilometer 4445 machten wir Pause. Wir fuhren durch Kakteen-Wälder und holten kurz vor Cachi unser Original-Andenkenfoto von der RN 40 nach.

Gegen 17 Uhr konnte Dieter sich endlich bei einem Bier, Marke Salta, von der anstrengenden 100 Kilometer langen Pistenfahrerei erholen. Unsere Herberge war an einem Platz mit einladenden Restaurants gelegen, wir bekamen ein violett gestrichenes  und mit Kunsthandwerk bestücktes Zimmer, das sogar einen Zugang zu einem eigenen, abgeschlossenen Hinterhof hatte. Es war Samstag und abends lockte uns Musik, die durch

das ganze Dorf schallte, aus unserem Refugium. Es handelte sich um ein Open-Air-Konzert, doch waren nur Mitglieder eines Campingplatzes oder einer bestimmten Organisation zugelassen. Wir ließen uns in unserer zauberhaften Herberge, mit einer aus Kakteen-Holz kunstvoll gestalteten Decke bei Kerzenlicht und Rotwein der Region zum Abendessen nieder. Es war inzwischen halb neun.

Von San Miguel de Tucumán nach Cafayate

Es regnete noch immer. Wir holten unsere Schirme raus, gingen über die Straße und schon standen wir vor dem Sightseeing-Highlight von Tucumán: der Casa de La Independencia, dem prächtigen Rathaus aus dem Jahre 1780, wo am 9. Juli 1816 die Unabhängigkeit von Spanien ausgerufen wurde, und auf der gleichnamigen Plaza. Daneben sahen wir die neoklassizistische Kathedrale der Stadt, alles kompakt beieinander.

Es waren an diesem Freitag Morgen sagenhaft viele Menschen unterwegs. Man kam auf den engen Fußwegen mit den Schirmen kaum aneinander vorbei. Wir schlenderten an zahlreichen Bars und Cafés vorbei – alle gut frequentiert am Vormittag – auf der Suche nach einer Bank. Aber was war das? War in Argentinien der Notstand ausgebrochen, und wir hatten es nicht mitbekommen? In fast jeder Bank, an der wir vorbeikamen, hatten sich meterlange Menschenschlangen gebildet. Wir versuchten an drei verschiedenen Automaten Bargeld zu bekommen, aber erst beim vierten Versuch waren wir erfolgreich. Es hatte aber wohl nichts mit Börsencrash oder Notstand zu tun, sondern wir hatten einfach die falschen Geldautomaten erwischt. Und auch die Argentinier stellten sich so ordentlich in Reih und Glied, wie wir es sonst nur von den Engländern kennen, es schien sich also doch eher um einen ganz normalen letzten Freitag eines Monats zu handeln, vielleicht der Tag, an dem die Bewohner von Tucumán all ihre wichtigen Bankgeschäfte zu erledigen haben? Anscheinend läuft hier alles über Bankautomaten. Schade, dass wir nur eine Übernachtung in Tucumán gebucht hatten. Es hätte sich bestimmt gelohnt, hier etwas länger zu bleiben, und überhaupt: Nach einem Flug werde ich in Zukunft immer mindestens zwei Übernachtungen veranschlagen. Das entschleunigt und beruhigt die Seele. Wir fuhren gegen halb elf weiter, immer schön nach Navi, raus aus der lebhaften Stadt, auf die Autobahn, erst nach Süden und dann nach Norden, Richtung Tafí del Valle. Der Himmel war wolkenverhangen und grau, aber was wir sahen war saftig grün. Ein erster Aussichtspunkt: um uns herum grüne, mit subtropischen Pflanzen bedeckte Hügel, unten der Río de las Sosas. Es hörte auf zu regnen. Wir kamen an El Mollar vorbei, wo Indio-Steinfiguren uns daran erinnerten, dass wir durch Tafí-Land fuhren, ein Stamm, der vom 5. bis zum 9. Jahrhundert n. Chr. hier lebte, und zahlreiche Steinfiguren und mit Gesichtern bemalte Menhire hinterließ.

Wir kamen immer höher, längst war aus der asphaltierten Straße wieder eine Schotterpiste geworden, die Landschaft nicht mehr dschungelgrün sondern karg bewachsen und felsig. Gegen zwei Uhr erreichten wir das Indio-Dorf Tafí del Valle. Wir waren inzwischen auf 2000 Metern Höhe, die Berge um uns herum noch einmal dreitausend Meter höher. Hier machten wir Mittagspause, es gab exzellente Hähnchengerichte und Cola. Wir versuchten uns zu akklimatisieren, mitzuhalten mit den schnellen Ortswechseln und Eindrücken seit gestern, uns einzulassen auf die völlig neue Umgebung hier im Nordwesten Argentiniens. Und weiter ging es auf der Schotterpiste, immer bergauf.

Wir fuhren über den Pass Abra Del Infiernillo und plötzlich ließ sich auch die Sonne blicken, und vereinzelt kamen blaue Flecken hinter der Wolkendecke zum Vorschein: Wir befanden uns auf 3040 Meter Höhe. Und nicht nur das: irgendwann tauchte ein riesiger Kaktus vor uns auf, nein: zwei, drei fünfzig, tausend! Das war ja unglaublich, überall schossen diese gigantischen Gewächse aus der Erde, doppelt so groß, nein dreimal so groß, nein fünfmal so groß wie ein erwachsener Mensch, mit Stacheln, die eindeutig signalisierten: Rührt mich nicht an! Wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus und mussten an jeder Straßenbiegung anhalten, um dieses Naturwunder immer wieder aus neuen Blickwinkeln zu fotografieren.

Von hoch oben blickten wir auf ein Tal voller Kandelaberkakteen, und dahinter bizarre Felsformationen, noch einmal 3000 Meter höher. Gegen 18 Uhr kamen wir an den Ruinen von Quilmes vorbei, einer Stätte, die an den Indiostamm der Quilmes erinnert, der hier im 11. Jahrhundert lebte.

Und um 19 Uhr erreichten wir endlich unsere Unterkunft in Cafayate. Inzwischen schien die Sonne. Cafayate war landschaftlich schon wieder etwas völlig anderes: ein berühmtes Weinanbaugebiet. Das muss man sich mal vorstellen: auf 1683 Metern Höhe!

Entsprechend war unser Zimmer in der Form eines Weinfasses gestaltet und überhaupt schien sich alles in diesem Ort um Wein zu drehen. Wir hatten so viel lebhaftes Treiben um eine schön angelegte Plaza herum gar nicht erwartet. Dann auch noch ein Geschäft, in dem spontan getanzt wurde, und das mit seinem Warenangebot und der Art des Abwiegens und Verkaufens an das Museum eines Krämerladens erinnerte.

Es war einfach ein bisschen viel der neuen Eindrücke für heute. Wir mussten schlafen.

 

 

 

Von Bariloche nach San Miguel de Tucumán

Nachdem wir unsere restlichen Oliven und unseren Käse aufgegessen hatten, haben wir uns gestern Abend einfach in ein kleines Café mit Wifi gesetzt und versucht, unseren Blog auf den neuesten Stand zu bringen. Die eine Nacht in Bariloches etwas heruntergekommenen Zwei-Sterne-Hotel haben wir gut geschlafen, und heute Morgen ging es nach einem überraschend reichhaltigen, ausgedehnten Frühstück gegen 12 Uhr Richtung Flughafen. Die letzten fünf Liter Benzin konnten wir noch in unseren Chevi füllen und mit dem teuren Benzinkanister dem Tankwart eine Freude machen. Das hatte er noch nicht erlebt, einfach so, ein Geschenk! Er strahlte. Ohne Probleme konnten wir am Flughafen unser Auto abgeben – dass man vor lauter Staub die güldene Farbe kaum noch erkennen konnte, stört doch keinen Argentinier! – und pünktlich um 14:45 Uhr hoben wir ab nach Buenos Aires. Leider muss man immer den Umweg über Argentiniens Hauptstadt nehmen, um nach Tucumán zu kommen.

Es schien alles gut in der Zeit zu sein. Wir kamen am Gepäckband vorbei – doch was war das? Da lief doch Dieters Rucksack an uns vorbei! Wie das? Wir hatten doch durchgebucht! Schnell nahm Dieter sein Gepäckstück, wir entschieden, dass er es blitzschnell zum Neu-Einckeck bringen und ich allein zum Abflugsgate gehen sollte. Kurz vor der geplanten Boarding-Zeit, ich hatte mich schon – vergeblich – um telefonische Hilfe bemüht, kam Dieter gemächlich und entspannt zum Gate geschlendert: Der Flug hätte anderthalb Stunden Verspätung, würde erst um halb acht starten, sein Koffer sei wieder eingecheckt, und er hatte zwei neue Boarding-Karten in der Hand. Also gut, Essenspause im Flughafen, ich mit den bangen Fragen im Kopf: Würde mein Koffer korrekt in Tucumán ankommen? Müsste ich womöglich bis auf Weiteres auf meine schönen Kleider, meine Schuhe – ich fliege ja immer in Wanderstiefeln, damit der Koffer etwas leichter ist – verzichten? Würde es jetzt mit dem neuen Mietauto noch klappen? Doch, das dürfte noch hinhauen, die Autovermietung sollte bis 23 Uhr geöffnet haben. Gegen halb zehn landeten wir. Dieters Rucksack war da. Juchhu! Und meiner? Das durfte nicht wahr sein! Hätte ich womöglich noch länger in Buenos Aires warten müssen? Das Gepäckband drohte gerade anzuhalten, meine Augen rollten nach oben, ich musste mich hinsetzen – da kam als letztes Gepäckstück mein rostbrauner Rucksack mit dem orangefarbenen Kofferband zum Vorschein. Jippie!! Wir hatten mal wieder Glück gehabt! Wir holten unser Mietauto ab – wieder ein Chevrolet, diesmal weiß, wesentlich neuer und mit Zentralverriegelung. Es regnete, es war dunkel, ständig beschlugen die Scheiben trotz Lüftung – dennoch schaffte Dieter es, auch dank seines Smartphone-Navis – was für eine geniale Erfindung! – uns sicher zum Hotel zu fahren. Wir kamen um 23 Uhr dort an, mitten im Zentrum von Tucumán. Auf den Straßen fing gerade das Nachtleben an. Was für ein Segen! Es war ein Fünfsterne-Hotel, unser Gepäck wurde ausgeladen, das Auto in eine sichere Garage gefahren, am Empfang scherzte man mit uns über Doppelbettzimmer oder Zweibettzimmer, wir wohnten im siebten Stock, hoch über den Dächern dieser Metropole – immerhin die fünftgrößte Stadt Argentiniens mit rund 750000 Einwohnern – in einem Zimmer mit einem Doppelbett und einem Einzelbett, für 44 Euro die Nacht, ein Schnäppchen.

Villa La Angostura Tag 2 und Rückfahrt nach Bariloche

Um Punkt zehn Uhr standen wir am Eingang zur Wanderung über die Halbinsel Quetrihue durch den Arrayanes Nationalpark. Bis zum Fähranleger sollten es 13 Kilometer sein, wofür Leute mit mittlerer Kondition etwa drei Stunden bräuchten. Zurück würden wir dann  den Katamaran nehmen, weil wir abends noch nach Bariloche holländischehollfahren mussten. Außer uns machte sich nur ein anderes Paar zu dieser frühen Morgenstunde auf den Weg, und da Dieter die kleinen Umwege zu den Miradores auf jeden Fall mitnehmen wollte, waren wir schnell allein im Wald.

Es fing mit Stufen an, und wir fühlten uns sofort an Nepal erinnert. Aber nach hundert Metern ging man einen herrlichen, meist ebenen Wanderweg entlang, bestens geeignet auch für Leute im Rentenalter. Es begegneten uns lediglich zwei Mountainbiker, zwei Hunde und zwei joggende Frauen. Die Eine sah ausgesprochen gut aus, die andere trug den Rucksack – ich hatte sofort die Assoziation, es könnte sich um eine argentinische Schauspielerin oder Schönheitskönigin mit ihrem weiblichen Bodygard handeln, und wir europäischen Nobodys hätten sie nur nicht erkannt. Wir erreichten tatsächlich nach zwölf Kilometern und knapp drei Stunden die Laguna Patagua und machten eine wohlverdiente Pause mit Picknick und Baden und Sonnen.

Erst nach zwei Stunden waren wir nicht mehr allein. Andere Wanderer hatten sich anscheinend später auf den Weg gemacht. Das Boot sollte erst um halb fünf ablegen. Wir genossen noch einmal einen Kaffee in der einzigen Hütte vor dem Arrayanes Wald und schauten auf das muntere Treiben an der Anlegestelle. Um Punkt vier Uhr kam auch wieder die Modesta Victoria aus Bariloche, der schöne, alte holländische Ausflugsdampfer, mit dem wir unsere erste Tour hierher gemacht hatten.

Und dann ging’s auf dem viel kleineren Katamaran nach La Angostura zurück, vorbei an den vielen Privatbuchten und -stränden, wo auch unsere Unterkunft lag. Wir waren müde, und ab und zu fielen mir trotz der schönen Sicht die Augen zu. Wir holten unser Gepäck und fuhren auf asphaltierter Straße im Sonnenschein am Lago Nahuel Huapi entlang nach Bariloche.

Diesmal wohnten wir in einem zentral gelegenen Zwei-Sterne-Hotel, zwanzig Euro günstiger als die Jugendherberge. Aber das erste, was wir erfuhren, war, dass es kein warmes Wasser gebe. Als ich den Wasserhahn aufdrehte, kam eine schwarze Suppe raus, aber nach fünf Minuten wurde es zum Glück klar, und ich konnte mir endlich, wenn auch nur eiskalt, den Staub von der Haut spülen. Morgen würde es weitergehen zu unserer dritten Station in Argentinien, nach Tucumán und Salta, etwa 2000 Kilometer weiter nördlich.