Wir haben uns heute ein Taxi bestellt und uns zu den Sightseeing-Highlights Mumbais fahren lassen. Zuerst Gateway of India. Alles war streng bewacht, man musste, um zum Tor vorzudringen, wieder durch den Taschen- und Bodycheck. Es war heiß und diesig, viele Touristen ließen sich von Profi-Fotografen oder solchen, die vorgaben dies zu sein, ablichten. Dieses Tor war also 1911 zu Ehren eines Besuchs von König George V. und Queen Mary erbaut worden und ist seitdem das Mumbais Wahrzeichen. Gegenüber das von dem Großindustriellen Tata aus Rache erbaute Taj Mahal von Mumbai. Herrn Tata wurde damals als Nicht-Weißem der Zugang zum besten Hotel der Stadt verweigert, und schwups, ließ er ein eigenes, natürlich viel schöneres direkt daneben bauen. Seines hat überlebt, (das andere nicht) und dürfte das teuerste Hotel Mumbais sein. Als Touri hat man nach dem üblichen Sicherheitscheck Zugang, als bettelarmer Straßeninder eher nicht. Soweit ging die Rache von Herrn Tata dann doch nicht.
Wir schauten uns eine Weile das bunte Treiben am Hafen an, und schmiedeten Pläne für die nächsten Tage. Weiter ging es zum Chhatrapati Shivaji Terminus, zu dem von den Engländern 1887 erbauten Victoria Terminus, ein überaus prunkvolles, reich verziertes Gebäude, das zum Weltkulturerbe zählt. Von den Millionen Berufstätigen, die täglich die Sicherheitsschleusen vor den Gleisen passieren, und hinein- und herauseilen, schien es allerdings kaum noch als Juwel wahrgenommen zu werden. Wer kann es ihnen verdenken? Um den Bahnhof herum: Basar. Saftbuden – die leckersten frisch gepressten Fruchtsäfte wurden angeboten, man wird süchtig danach – Imbisse, Kopier-, Druck- und Internetstände, Schuhputzer, alles, was das Herz begehrt. Man fragt sich ob des überwältigenden Waren- und Dienstleistungsangebots wie die vielen Menschen bloß davon leben können.
Wir ließen uns den Marine Drive entlang fahren und machten beim InterConti eine Cola-Pause. Mit neun Euro waren wir dabei. Diesmal hatten wir die Dachterrasse im ersten Stock für uns allein. Und auch in die Poolbar gelangten wir ohne Gedrängel, nur zum Gucken. Es wurde gerade aufgeräumt und sauber gemacht. Ja, sehr chic hier oben! Hamburg kann allerdings mit seinen Rooftop-Bars im Sommer durchaus mithalten.
Nächster Stop am Chowpatty Beach: Zum Baden sei es hier wenig geeignet, zu schmutzig! Abends solle es hier schöner sein, wussten wir schon von unserem Taxifahrer. Deshalb ging es schnell weiter. Nächster Halt: das Mausoleum von Haji Ali Bukhari, einem muslimischen Heiligen, mit Moschee. Wir gelangten über einen langen Damm zum Inselgrabmal des Mystikers. Links und rechts von den Fußgängerströmen Verkaufsbuden mit Kitsch und Plunder der grässlichsten und eigentlich überflüssigsten Sorte. Wir fragten uns einmal mehr: “Wer soll das bitteschön alles kaufen?” Und ganz am Rand, den ganzen Damm entlang, Bettler, Krüppel ohne Hände ohne Beine, warum? Die grausamsten Verdächtigungen gehen einem nie mehr aus dem Kopf – schlafende kleine Kinder, manchmal völlig allein ohne ihre Mütter. Wer passt bloß auf, dass sie nicht ins Wasser fallen, wenn sie aufwachen? Das Heiligtum interessierte uns eher weniger, aber die vielen Menschen drumherum, die an einem Stand auf ein Essen auf Discountmarken warteten, scheinbar fröhlich am Baden oder am Waschen waren, oder ihre Schlaflager in dem Rohbau – vielleicht ein zukünftiges Hotel? – neben dem Mausoleum eingerichtet hatten, und sich im schönsten hellgelben Chiffonkleid ihr langes, schwarzes Haar kämmten – Mumbais Schneewittchen warteten auf den Prinzen – waren wieder incredible.
Danach ging es auf den Malabar Hill, zu den Hängenden Gärten. Es war eine schöne Parkanlage mit Büschen, die schon mal in Form eines Pfaus geschnitten waren oder mit netten Plätzen im Schatten, die zum Verweilen einluden – aber das wars auch schon. Gleich nebenan der Kamala-Nehru-Park, mit einem Schuh als Spielgerüst für Kinder. Im letzten Moment konnte ich Dieter davon abhalten, auf den Schuh zu steigen, er war nur für bis Zwölfjährige ausgelegt.
Wir haben die Türme des Schweigens gar nicht gesehen, wo es zur parsischen Bestattungszeremonie gehören soll, auf der Turmspitze menschliche Leichen den Geiern zum Fraß zu überlassen. Abgesehen davon, dass man dort sowieso keinen Zutritt gehabt hätte, reichte uns diese Vorstellung in unserer Phantasie völlig aus, und wir hatten an Elendseindrücken für die nächste Zeit eh genug. Weiter ging es über die Sealink-Hängebrücke, vorbei an edlen Geschäften und vornehmen Häusern – zwischendurch aber immer wieder Arme, Kühe, Dreck und Motor-Rikschas – zum Juhu-Strand. Dort haben wir dann tatsächlich unsere Füße ins Arabische Meer gesteckt. Es war brütend heiß und feucht um die Mittagszeit, wir setzten uns auf eine Imbissterrasse in den Schatten und bestellten ‘ne Pizza. Direkt unter uns die Dächer von mit Satellitenschüsseln ausgestatteten Slum-Verkaufsbuden und dahinter: weiter, goldener Strand.
Als wir zum Taxi zurückkamen, war unser Fahrer eingeschlafen und schnarchte fröhlich vor sich hin. Wir haben vorsichtig an die Scheibe geklopft – war schon okay. Die Rückfahrt war schwierig: Feierabend-Verkehr in Mumbai. Wir haben zwei Stunden länger gebraucht als bei der Hinfahrt, die meiste Zeit standen wir im Stau. Unserem Taxidriver war das sehr unangenehm, und nachdem er zwei waghalsige Überholmanöver in atemberaubender Geschwindigkeit unternommen hatte, versicherten wir ihm, dass wir für heute sowieso genug gesehen hätten und überhaupt: Safety First!