Ashram Intermediates

Wir haben die Zeit im Ashram überstanden, gut überstanden, nein, wir haben sie genossen und irre viel gelernt. Wir haben uns elf Tage lang in eiserner Disziplin geübt, elf Tage nach einem strikten Tagesablauf gelebt von fünf Uhr zwanzig am Morgen bis halb zehn, manchmal auch länger, am Abend.

SAM_6522_kleinEs ist erstaunlich: das Sitzen auf dem Fußboden mit gekreuzten Beinen macht uns nichts mehr aus, die Beine entspannen sich irgendwann von ganz allein und werden vom eigenen Gewicht nach unten gezogen. Meditieren kann wunderbar und wohltuend sein, das Aufwärmen, die Yoga-Übungen, richtiges, bewusstes Atmen, alles zweimal am Tag für fast zwei Stunden unter professioneller Anleitung praktiziert, das hat in unseren Körpern einiges in Bewegung und in Fluss gebracht. Und obwohl wir beide in die Anfängerklasse gegangen sind, haben wir alle zwölf Basic Sivananda-Yoga-Stellungen schon probiert: vom Schulterstand, über den Pflug, zur Brücke und zum Fisch, vom Vornüberbeugen im Sitzen und Stehen, über die Kobra, den Bogen, die Krähe und anderen, bis zum Kopfstand. Einmal habe ich den Kopfstand hingekriegt: Dieter oder ein Helfer stand an meiner Seite und passte auf, dass ich nicht vornüber falle. Es war ein beglückendes, wohltuendes Gefühl, das ich gern öfter genießen würde, aber um Sicherheit für diese Übung zu gewinnen, müsste ich trainieren, trainieren, trainieren. Ein wenig Angst, dass einer von uns beiden sich aus falschem Ehrgeiz eine Verletzung zuziehen würde, war immer dabei. Es war superschön zu sehen, dass Dieter genauso großen Gefallen an dem intensiven Yoga gefunden hat, wie ich es schon immer hatte. Das frühe Aufstehen fiel uns beiden leicht, das vegane Essen ohne Zwiebeln, Knoblauch und Pilzen hat uns total lecker geschmeckt und war absolut ausreichend. Abgenommen haben wir, glaube ich, trotzdem nicht. Bei Tammi, einer US-amerikanischen Mitarbeiterin im diplomatischen Korps in Afghanistan und in meinem Alter, purzelten hingegen ganz schnell drei Kilo. Gleich am ersten Programmtag wurde uns klar, dass uns für kleine Entspannungspausen in der “Health Hut”- Kneipe oder auch für einen ausgiebigen Mittagsschlaf nicht viel Zeit bleiben würde. Nach morgendlicher Meditation mit anschließendem Satsang gab es einen Tee, eine kleine Klönpause, in der man immer wieder neue Leute kennenlernte, und schon fingen um acht Uhr die Yogaklassen an.

Um 10 Uhr gab es Lunch: immer Reis mit Curry, frischem Gemüse, Wurzeln, Tomaten, Roter Beete, Knusperbrot, Soßen zum Dippen, einer Süßspeise, manchmal ein Stück Ananas oder eine Banane dabei, immer von allem so viel man wollte. Und um elf Uhr stand verpflichtendes Karma-Yoga für alle Neuankömmlinge an. Huch, was war denn das? Den frisch gepressten Orangensaft, den es in der Health Hut geben sollte, musste ich mir erst einmal verkneifen. Miste! Stattdessen  auf zum Karma-Yoga in die große Shiva-Halle! Wir waren etwa vierzig Yoga-Urlauber, die dort zusammenkamen, und schnell fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Na klar, wir waren in einem Ashram und nicht in einem Wellness-Hotel. Hier musste jede/r mit anpacken, etwas für die Gemeinschaft tun, Klos putzen, Schlafräume putzen, Essen verteilen, usw., das ist natürlich gut fürs Karma. Ich meldete mich für den Ashram-Laden als Helferin, Dieter für die Health Hut. Tja, und da waren sie wieder, meine beiden Frauen, die ich eigentlich nicht so gern näher kennenlernen wollte: die trödelige Kolumbianerin, Julie, gehörte zum Staff und organisierte den Verkauf. Sie war also meine neue Chefin. Und die hektische Italienerin hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu sagen, dass sie sowieso nur abends könne, weil sie auch noch so ein anstrengendes Entgiftungspaket im Health Institute gebucht hätte. Als Julie wollte, dass ich immer vormittags von zwölf bis eins arbeite, fielen mir siedendheiß meine drei gebuchten Massagetermine ein: um zwölf. Also bat auch ich darum, lieber abends arbeiten zu können. Mit den ganzen Terminen wurde es allmählich eng und mein imaginierter, gemütlicher Orangensaft in der Health Hut am Abend rückte in immer weitere Ferne. Also gut, morgen hatte ich noch keine Massage, da würde ich vormittags kommen und die nächsten Tage dann eben abends. Was tut man nicht alles fürs Karma! Heute war noch frei. Kurz vor zwölf traf ich Dieter im Zimmer. Er hatte wegen seiner Massagetermine seine Arbeitszeit gleich in die Abendstunden verlegen können. Vielleicht würde er mir dann ja nebenbei einen Orangensaft organisieren können? Ich merkte, wie süchtig ich nach dem frisch gepressten Getränk plötzlich war. Für heute hatten wir erst einmal eine kleine Mittagspause bis zu den nächsten Yogaklassen um halb vier. Wir wollten uns ausruhen. Aber, oh Schreck, was war denn das? Um zehn vor zwei wurde schon wieder die Glocke geläutet: Lecture stand auf dem Programm. Oh nö, bitte nicht! Wir lagen gerade so gemütlich auf unseren Betten, Vorlesungen brauchten wir gerade gar nicht. Wir ließen sie ausfallen. Wir waren schließlich  noch neu, und um halb vier startete schon die zweite Yoga-Session. Die Zeit verging wie im Flug. Nach dem Nachmittagsyoga hatte man gerade mal 10 Minuten zum Duschen, dann läutete die Glocke zum Abendessen. Und dann gab es endlich meinen heiß ersehnten Orangensaft in der Health Hut, der Kneipe mit den Öffnungszeiten von 18:30 Uhr bis 19:30 Uhr, letzte Bestellannahme um 19:10 Uhr. Wir haben wieder nette Leute kennengelernt, Dermot, den Iren und einen ehrgeizigen Mountainbiker aus England, an der Grenze zu Schottland. Der O-Saft war ein Genuss, die Gespräche nett und schon ging das Licht aus: Sperrstunde in der Ashram-Kneipe. Kleine Feedback-Pause mit Dieter im Privatzimmer und schon läutete die Glocke zur Abendmeditation mit anschließendem Satsang. Am nächsten Tag gab es eine Überraschung: Statt Satsang und Meditation ein Silent Walk zum See. Um sechs Uhr mit 200 Leuten durchs Dorf, ohne ein Wort zu reden, meditatives Wandern. Herrlich!

Ich fragte mich nur immer, was die ganzen Inder, denen wir unterwegs begegneten, wohl von dem Aufmarsch hielten? Andererseits dürfte ihnen das Ritual bekannt sein, da es schon seit Jahren zweimal die Woche von den Ashram-Besuchern praktiziert wird. An einer wunderschönen Stelle am See ließen wir uns zur Meditation nieder. Dann wurden die üblichen Lieder gesungen, und man machte sich auf den kommunikativen Rückweg. Wir haben Roger, den Mann aus Boston/UK kennengelernt, der aber schon seit Jahren an der australischen Westküste lebt, und Gabriele aus Deutschland, die schon zum wiederholten Mal hier Yoga-Urlaub macht. Nach einem würzigen Chai Masala, diesem belebenden, indischen Yogitee, ging es zum Morgenyoga und als Karma-Yoga durfte ich die Regale in der Boutique putzen. Auch dort lernte man natürlich gleich wieder Leute kennen: Maria aus Brasilien, die in Paris lebt, und die traurig darüber war, dass sie ihren Mann nicht dazu hatte überreden können, mit ihr hier Yoga-Urlaub zu machen, und die auch schon zum zweiten Mal hier war, und Rosemarie, die Studentin aus Deutschland, die schon am Samstag wieder abreisen würde. Dieter hatte seinen ersten Massagetermin und kam völlig ölig aber zufrieden und relaxt zurück. Er würde von nun an jeden Tag sich diese Wohltat gönnen. Abends in der Health Hut haben wir Deirdre und Ruaidhri, ein Pärchen aus Irland – wie Dermot- bei einem Riesenobstsalat kennengelernt, die schon eine Weile auf Reisen sind, und dann wieder für ein halbes Jahr arbeiten.

Nach Berlin kommen sie auch bald, weil Deirdres Schwester dort lebt. Auch wenn wir nicht alles genau verstehen konnten, mochte ich sofort ihren irischen Dialekt und ihren selbstironischen Humor. Wir hatten totalen Spaß miteinander. Schnell wurde der Tagesablauf selbstverständlich, und ich war froh, dass Dieter die ganze Atmosphäre und das kommunikative Drumherum auch gefielen. Als alle Regale geputzt waren, bekam ich als Karma-Yoga schnell die verantwortungsvolle Tätigkeit zugeteilt, die Preise aller in der Boutique erhältlichen Produkte zu verifizieren. Das machte mich etwas Termin-unabhängiger, und als Julie merkte, dass ich meine Aufgabe ernst nahm und sie zuverlässig unterstützen würde, lösten sich alle sicher gegenseitigen, negativen Vorurteile in Wohlgefallen und Respekt füreinander auf. Als Staff-Mitglied musste sie einmal auch den Schweigemarsch zum See leiten und als Vorsängerin dienen. Sie bat alle, näher zusammenzurücken, weil ihre Stimme sonst nicht laut genug sein würde. Das eigentliche Problem bestand allerdings darin, dass sie einfach nicht singen konnte. Wie sie sich tapfer durch diese für sie schwierige Aufgabe gebissen hat, das hat mich tief beeindruckt. Mit der Hilfe von allen klang unser Singsang am Schluss doch wieder ganz passabel, und die Energie konnte fließen und gab allen Kraft. Am Ende unseres Ashram- Aufenthaltes habe ich Julie in den Arm genommen und ihr voller Überzeugung gesagt, dass sie einen verdammt guten Job dort mache. Dieter und Dermot bewiesen sich in ihrem Karma-Yoga Abend für Abend als potente Früchteschnippler, und manchmal gelang es uns, einen dieser delikaten Obstsalate für uns zurückstellen zu lassen. Am Freitag war immer frei, also Ausgang, wenn man wollte. Es wurde ein Ausflug in einem Bus zur indischen Südspitze angeboten. Dieter und ich wollten lieber mal allein zum See oder einfach ohne Programm das Areal genießen. Als wir eine Badestelle suchten, raschelte es im Gestrüpp, und eine etwa drei Meter lange, dicke, braune Schlange machte sich von dannen. Wir waren halt hier im tropischen Dschungel, Baden im See war laut Schildern verboten, es sollte Krokodile geben. Die allerdings würden Menschen nicht angreifen, erzählten angebliche Kenner und Schlaumeier. Auf der anderen Seite des Sees gab es einen Löwenpark. Es dauerte eine Weile, bis wir das Brüllen der Löwen, das häufig herüberschallte, überhaupt als solches erkannten. Von Gabriele hatten wir erfahren, dass sie jeden Tag nach dem Yoga im See schwimmen ging, ganz allein, andere taten es auch. Dieter wollte auf jeden Fall, ich zögerte wegen der Schlange. Dann habe ich es schließlich doch gewagt. Mir ist weder eine Schlange noch ein Krokodil begegnet, es war einfach schön.

Einmal wurde ein rauschendes Fest gefeiert, als die ganzen Auszubildenden ihre Prüfung bestanden hatten. Da gab man sich besonders viel Mühe bei der Zubereitung des Essens, fürs Auge wurde es auf Bananenblättern serviert, der Rote-Beete-Salat hob sich somit besonders kontrastreich und farbenfroh ab, und alle Götter und Gurus in der Shiva-Halle wurden zur abendlichen Feier mit zu Ketten geflochtenen Blütenblättern behängt. Nachdem die 150 Abschlusszeugnisse ausgeteilt waren, wurde eine indisch-spirituelle Band angekündigt. Auf der Bühne erschienen fünf barbrüstige Männer fortgeschrittenen Alters, um die Hüften ein weißes Tuch gewunden. “Kamen die gerade aus der Sauna?”, dachten Dieter und ich parallel.

Zwei junge, normal gekleidete Trommler und eine Frau im Sari, vielleicht die Ehefrau des Vorsängers, gehörten auch zur Band. Und dann legten die los. Die Stimmung steigerte sich, die Energie von 150 jungen, glücklichen und gerade fertig ausgebildeten Yogalehrern, Ausbildern und 50 Urlaubern steigerte sich, bis die TTC’ler nicht mehr zu halten waren und überall getanzt wurde. Unsere Saunagänger der Band waren von dem tosenden Applaus so überwältigt, dass sie eine Zugabe nach der nächsten gaben, und die eigentliche Zubettgehzeit an diesem Abend weit überschritten wurde. Wir entzogen uns dem rauschenden Fest gegen 22:30 Uhr, Abschlussgebet und Götterverehrung musste heute nicht mehr sein. Die Glocke würde am nächsten Morgen wieder um 5:20 Uhr ertönen. Es war ein echt indischer, incredible Abend. Ganz besonders haben wir uns für die 34-jährige Linjun aus Shanghai gefreut,

die wir am Nachmittag in der Teepause kennengelernt hatten, die bis jetzt in Kalifornien Neurowissenschaften studierte und nach ihrem Master ab Mitte Februar 2015 für drei Monate im New York City Ashram als Yogalehrerin arbeiten wird. Shanghai ist die Partnerstadt von Hamburg. Als wir Linjun fragten, ob sie denn auch den dortigen Hafen kenne, verneinte sie. Wie bitte? Konnte das sein? Es scheint in großen asiatischen Hafenstädten nicht unbedingt üblich zu sein, dass die Häfen für die Öffentlichkeit zugänglich oder gar eine Touristenattraktion sind wie in Hamburg. Das hatten wir ja schon in Mumbai gemerkt. Wir luden Linjun sofort ein, mal nach Hamburg zu kommen. Da würden wir ihr liebend gern unseren schönen, großen Hafen zeigen. In den nächsten Tagen wurde es deutlich leerer. Die meisten TTC’ler reisten ab, und so blieben nur die Urlauber übrig. Es kamen allerdings ständig neue Leute hinzu. Nach acht Tagen mussten wir unser Zimmer räumen. Es ging allerdings nur eine Etage tiefer, und wir hatten den gleichen Komfort wie bisher. Von einer Japanerin, der 31-jährigen Madoka nach meinem/r Lieblingsyogalehrer/in gefragt, antwortete ich sofort: Haridas aus Israel. Der machte einfach so klare und deutliche Ansagen und gab so tolle Hilfestellungen, dass jede/r das Maximum aus sich herausholen konnte. Auch Madoka fand ihn in ihrer Ausbildung super. Auch mit unseren neuen Nachbarn, Karine und Ronny aus Belgien, die beide schon lange Yoga machen und daher gleich in den fortgeschrittenen Kurs gingen, haben wir noch einen netten Abend in der Ashram-Kneipe verbracht. Auch Nicole, eine 71jährige Hawaii-Amerikanerin, die sich auf einen 3-monatigen Yoga-Aufenthalt gefreut hatte, und sich gleich am zweiten Tag übelst den Fuß gebrochen hatte, habe ich noch kurz kennengelernt. Sie war inzwischen in Rente, und ich hätte ihr stundenlang dabei zuhören können, was sie alles aus ihrem abwechslungsreichen Leben, von ihrer Arbeit bei der Unesco, und überhaupt, zu erzählen hatte. Auch Martha, die Polin, die gar nicht wie eine Polin, sondern eher wie eine flippige Südamerikanerin aussah, werde ich nicht vergessen, die fünf Jahre in Amsterdam gelebt hat und nun mit dieser Reise auf der Suche nach neuem  Glück war. Und auch nicht die vielen anderen, mit denen man diese elf Tage eng zusammen und intensiv verlebt hat.

Nach interessanten Lectures über ayurvedische Medizin und Pranayamas (Atemübungen) habe ich mir auch noch den Vortrag über positives Denken angehört. Darin stehe ich also noch ziemlich am Anfang, besonders was das negative Abstempeln von mir auf den ersten Blick unsympathischen Menschen angeht. Ich gebe es zu: Ich habe die ganze Zeit über den Kontakt zu Francisca, der Italienerin, bewusst gemieden, und dennoch ist sie mir immer wieder unter die Augen gekommen, und ich fand ihre äußerst individuelle Art, sich zu kleiden, bemerkenswert schön. Die Farben passten immer exzellent zusammen, waren irgendwie ein tolles italienisch- indisches Gemisch. Das hätte ich ihr ja auch mal sagen können! Habe ich aber nicht. Ich glaube, wenn ich in dieser Richtung mein gelerntes Schablonendenken etwas aufweichen könnte, würde es mir noch besser gehen. Am Ende unseres mal wieder grandiosen Ashram-Aufenthaltes ging es uns allerdings schon verdammt incredible gut!

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