Von Mumbai nach Neyyar Dam

Um neun Uhr stand das Taxi bereit für die Fahrt zum Domestic Airport. Um zehn Uhr waren wir dort und erfuhren, dass unser Flug nach Trivandrum zwar nicht gecancelt aber auf 17 Uhr abends verschoben worden war, man hätte uns ja schon Anfang November benachrichtigt. Miste! Das hatten wir übersehen. Jetzt hieß es also sieben Stunden im Flughafen warten. Zeit, unsere Mumbai-Erlebnisse zu verarbeiten und aufzuschreiben. Gegen 17:30 Uhr hoben wir endlich ab, und zwei Stunden später kamen wir heil, jedoch ärgerlicher Weise im Dunkeln, in Trivandrum an. Wir organisierten uns sofort ein Prepaid-Taxi und weiter ging’s durch lebhafte, südindische Dörfer. Was wir sahen, machte einen eher sauberen Eindruck – die Luft war extrem feucht, es hatte den ganzen Tag geregnet. Irgendwann klingelte Dieters Telefon. Es war der Hotelier, dem ich noch in Mumbai unsere verspätete Ankunft mitgeteilt hatte. Er erklärte dem Taxifahrer, wo er uns rauslassen könne. Er würde uns dann mit einem Jeep abholen lassen, da die Straße zu seinem Resort für normale Autos nicht befahrbar sei. Auch das noch! Wir fanden zum Glück gerade noch rechtzeitig einen ATM-Automaten für Bargeld, und Dieter konnte auch sein Handy-Guthaben auffüllen. Dann kam der Jeep, und es ging einen abenteuerlich schmalen Weg durch Pfützen und Schlaglöcher entlang – dass es am Rand steil bergab ging, konnte ich zum Glück nicht sehen – und endlich um halb zehn erreichten wir unser Hill Resort auf 1000 Metern Höhe. Sunil und seine Angestellten nahmen uns freudig in Empfang, zeigten uns die Hütte, wo wir zwei Nächte unterkommen sollten und bereiteten uns trotz der schon fortgeschrittenen Tageszeit ein herrliches Gemüsecurry mit Chapati. Mücken soll es hier trotz des für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Regens kaum geben.

Mumbai Tag 5

Nachdem klar war, dass es mit einer Sightseeing-Tour durch Bollywood-Studios nichts werden würde – wir haben es mit der Online-Bezahlung nicht hinbekommen und im Nachhinein waren wir auch gar nicht traurig drum – hatten wir Zeit, noch einmal zum Nariman Point zu schlendern, wo der “Happy Ending”- Film so kitschig-schön endete. Und wir hatten Zeit, durch so manches teure Einkaufszentrum zu bummeln, das wir beim ersten Spaziergang durch das Viertel hinter schlichten Betonfassaden nicht vermutet und daher glatt übersehen hatten. Es war noch früh am Morgen, man kam nach dem Routine-Sicherheitscheck zwar schon hinein, aber die meisten Geschäfte waren noch geschlossen. Das gab es also auch in Mumbai: mehrstöckige Einkaufszentren mit den feinsten Shops, alle hinter Glas sorgfältig gesichert, wie in Hamburgs Europa-Passage. Die ersten Geschäftsleute öffneten, versuchten uns hineinzulocken: “Good morning Madam, good morning Sir, have a look! Nice shawls!” Klar, hier gab es auch einen Friseur, der mit Sicherheit einen europäischen Haarschnitt für mich hinbekommen hätte, zu einem europäischen Preis, versteht sich, aber das brauchte ich ja nicht mehr. Mein Gott, was waren das für Extreme in dieser Stadt! Auf der einen Seite die vielen Bettler,  jungen Mütter mit ihren Kleinkindern, Schuhputzer und kleinen Händlersgehilfen, die jede Nacht auf den Straßen schliefen, auf der anderen Seite diese Luxuspaläste zum Shoppen. Und dieses Einkaufszentrum hier war noch nicht mal eines für die Superreichen, wie es sie unten beim Nariman Point gab. Dieses hier war wohl eher für Leute wie uns gedacht.

Ein Sightseeing-Highlight stand noch aus: die National Gallery of Modern Art. Hier gab es gerade eine wirklich überwältigend faszinierende Ausstellung zum Thema Akustik: Töne, Musik, Heilung, Instrumente, Weiblichkeit, Göttinnen – mit allem wurde experimentiert und man wurde eingeladen, selbst Hand anzulegen. Es machte total Spaß, mit den Ausstellungsstücken Töne zu erzeugen, eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, Lingams zu berühren und dadurch eine Melodie hervorzurufen oder eine indische Göttin einen Dämon besiegen zu sehen, in diesem Fall in Gestalt eines brennenden Mannes. War das die weibliche Rache an den Witwenverbrennungen der Vorzeit? Auch indische Schulklassen waren unterwegs und brachten die Galerie zum Klingen. So manchem Besucher mochte der Geräuschpegel zwar eher als chaotischer Lärm in den Ohren gedröhnt haben, aber sobald man selbst mitmischte, siegte einfach das Vergnügen.

Danach gingen wir in einen Musikladen und deckten uns mit indischen CDs ein, um später auch eine musikalische Erinnerung an unsere Reise zu haben. Auf dem Weg zum Lunchlokal machten wir den unausweichlichen Abstecher zu unserer Lieblings-Saftbar und schlürften einen Ganga-Yamuna, einen Orangen-Mandarinen-Mix, frisch gepresst, einfach nicht zu toppen. Auf den Bombay Duck, ein Eidechsen-Fisch-Gericht in dem auf parsisches Essen spezialisierten Restaurant bei uns um die Ecke mussten wir leider verzichten, war “out”, wir waren zu spät. Nach einer ausgiebigen Mittagsruhe im Hotelzimmer machten wir uns auf zu unserem Sunset-Mumbai-Abschiedsdinner, auf die Rooftop-Terrasse des InterConti. Um kurz vor sechs leuchtete die Sonne dunkelrot am Horizont, wir hatten den allerbesten Blick auf die Skyline von Mumbai und bekamen die besten Plätze mit Aussicht. Es war ein stinknormaler Donnerstag Abend, daher kein Gedrängel in Mumbais angesagtester Poolbar. Am Nachbartisch feierte ein Inder mit Freunden und amerikanischen Frauen Geburtstag. Der Alkohol floss als wäre es Wasser, die Leute, besonders die Frauen, waren schon nach kurzer Zeit betrunken, wurden peinlich laut und entblößten in breitestem amerikanischen Slang Intimes aus ihrem Privatleben, das niemanden interessierte. Wir genossen trotzdem unseren letzten Abend hoch über dem Marine Drive von Mumbai. Wir bestellten einen Sunset-Downer-Cocktail, ‘ne Sangria, Sodas und einen Ziegenkäse-Spinat-Pfannkuchen. Das passte. Ein letzter Abstecher zu unserer Saftbar und dann:Tschüß, Mumbai, du aufstrebende, moderne indische Stadt der großen Extreme! Vergiss nur deine Armen nicht! Morgen würde es für uns weitergehen, nach Südindien.

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Mumbai Tag 4

Heute wollte Dieter unbedingt zum Crawford Markt, einem Must-have-seen von Mumbai. Haben uns für 50 Rupien (etwa 80 Cent) im Taxi dorthin fahren lassen. An der Halle wurden wir gleich von einem Herrn abgefangen, der meinte, dass wir diesen Teil des Markts nur in Begleitung eines Führers betreten dürften. Gelesen hatten wir sowas, eigentlich wollten wir lieber ohne, aber schon waren wir mit ihm drin. Gemüse, Obst, Geflügel, gab es da, Fleisch und Fisch wurden gehackt und verarbeitet, in Käfigen wurden Hundewelpen, Katzen, Papageien zum Kauf angeboten – es roch nach Federvieh und totem Fleisch.


Und dann kamen wir zu den Gewürzen. Noch ehe wir uns versahen, füllte ein eifriger Inder sämtliche Gewürze und Masalas in Schüsseln ab und reichte sie uns zum Riechen. Köstlich! Seine Geschäftstüchtigkeit und die Begeisterung, mit der er uns grünen Curry, indischen Curry, indisches Masala, Zimt, Safran, Pfeffer, Chai, Chai-Gewürzmischung und vieles mehr präsentierte, waren einfach umwerfend, und einmal mehr konnten wir diesem Charme nicht widerstehen. Wir wollten von allem etwas, und vergaßen, nach dem Preis zu fragen. Dabei sind wir doch schon Indien-erfahren! Ein deutsches Pärchen mit ihrem Führer kam zu uns und fragte, was wir denn bezahlen würden, und ob es günstig sei. Dieter versuchte ihnen noch mitzugeben, dass wir natürlich zu teuer eingekauft hätten, aber da wurden wir von unserem Gewürzhändler schon zu einem grandiosen Chai eingeladen – das war allemal drin im Preis. Was soll’s, wir sind und bleiben halt naive, reiche Touris, und die Inder herzlich gute, gewiefte und irgendwie sympathische Geschäftsleute.

Nein, zum Kleider- und Tüchermarkt wollten wir nicht mehr. Wir gaben unserem “Guide” ein paar Rupienscheine, und ab ging’s per Taxi zum händlergeschützten Prince-of-Wales-Museum. Wieder so ein von den Engländern erbauter Prachtpalast. Es gab Steinmetzarbeiten, indisches Kunsthandwerk aus dem 14. Jahrhundert, Alltagsgegenstände der Reichen zu sehen,

aber das Grandioseste kam zum Schluss: eine Ausstellung von in Indien lebenden, ausgestopften Tieren. Von einem großen Vogel mit Nashornschnabel, über Sägerochen, Kobras und Pythons zu einem zweieinhalb Tonnen schweren Riesennashorn und zu guter Letzt zu dem Highlight, das wir im Chitwan-Nationalpark vergeblich gesucht hatten: dem weißen Tiger. Hier bekamen wir ihn endlich in natürlicher Schönheit, wenn auch als ausgestopfte Leiche, zu sehen: absolut beeindruckend!

Den Nachmittag verbrachten wir in unserem angenehm klimatisierten Hotelzimmer, der Blog sollte weiter geschrieben werden, ein Friseurtermin stand an – man hätte mir auch gleich einen Topf auf den Kopf stellen können. Also so ein bisschen mit Rausschneiden war nicht drin, nur zwei Zentimeter kürzen – ich hab’s überstanden und muss mich an meine neue Frisur immer noch gewöhnen.

Dieter hingegen lief sofort gut gestylt mit indischem Einheitsschnitt rum, perfekt rasiert für zwei Tage, Gesichtsmassage inklusive. Er war zufrieden, und ich mochte ihn gern so anschauen. Wir spazierten noch durch die Shoppingmeile von Colaba

und gingen schließlich zum zweiten Mal in dem Fischrestaurant vom ersten Abend essen: Ich bestellte gegrillte Krabben und Dieter gebratene King’s Prawns. War wieder lecker.

 

 

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Mumbai Tag 3

Heute Morgen sind wir nach einem hervorragenden Frühstück gleich wieder zum Taj Mahal Hotel von Mumbai. Da wollten wir doch mal gucken. Ist von uns aus nur ‘ne viertel Stunde zu Fuß. Optimal! Sicherheitscheck und drin waren wir. Boh, alles vom Feinsten! Und überall ein aphrodisierender Duft, Zitrone, Limone und mehr, so wie es wohl früher auch in den Maharadschapalästen gerochen haben muss. Eine Frühstücksterrasse mit Sicht über das Gateway of India und den schnuggeligen Hafen – sehr nett! Die Bildergalerie durften wir uns ansehen: die Beatles waren schon hier und Mick Jagger natürlich. In Vitrinen wurden kostbare Kleider und Schmuck ausgestellt. Weiter nach oben durften wir dann aber nicht. Wir waren ja keine residents, hatten unsere Suite-Nummer nicht parat. Wir hatten sowieso genug gesehen.

Wir kauften uns im Hafen zwei Economy Class Tickets für die Fähre nach Elephanta (umgerechnet zwei Euro), damit sollte man im Boot oben auf Deck, auf den besseren Plätzen sitzen können. Trotzdem hielt vor der Treppe Einer die Hand auf und meinte 10 Rupien extra (zwölf Cent). Tja, mit den doofen, reichen Touris kann man’s ja machen. Auf dem Ticket stand drauf, dass man den Bootsleuten nichts extra geben sollte – haben wir natürlich erst später gelesen. Nach einer einstündigen, ruhigen Bootsfahrt, vorbei am Militärhafen – fotografieren strengstens verboten! – vorbei an Containerschiffen, auch ein Kreuzfahrtsschiff war zu sehen, kamen wir auf der Insel Elephanta an. Sie ist mit ihren in den Fels gehauenen Höhlentempeln aus dem achten Jahrhundert wieder ein Weltkulturerbe. Zunächst ging es ein kleines Stück per Bimmelbahn, vorbei an, na klar: Verkaufsbuden. Dann musste man Steinstufen hochklettern, alles war mit Plastikplanen überdacht, am Rand: genau, Verkaufsbuden. Wie auf Helgoland, nur indisch.

Endlich der Eingang zur ersten Tempelhöhle. Man musste seine Sachen festhalten: Affengefahr. In den Höhlen war es schön kühl, draußen mindestens 36 Grad. Da kam so ein Tempel gerade recht. Faszinierend, was die Steinmetze im achten Jahrhundert hier gehauen haben! Dass das nicht längst eingestürzt ist, sondern sich bis heute stabil gehalten hat, alle Achtung! Ein dreiköpfiger Shiva war zu bestaunen und Shiva mit seiner Gefährtin Parvati, reich verzierte Säulen stützten den Rest des Felsens. Es gab noch sieben oder acht weitere hinduistische Götterstätten, alles sehenswert, aber es war auf den Wegen dazwischen immer heiß.

Trotzdem streiften wir noch ein bisschen über die Insel, kamen an alten Kanonen aus irgendeinem überflüssigen Krieg vorbei, aber das wars dann auch. Kein Badestrand, wie es ihn sicher bei uns auf einer Touristeninsel im Meer geben würde, lud zu einem Erfrischungsbad. Stattdessen indische Currys, Schals, Lassis, Obstsalat, Buddhas, Stein-Elefanten,-Schildkröten, Ganeshas usw. Nach einer ausgiebigen Lunchpause im Schatten machten wir uns schließlich mit der Fähre auf den Rückweg. Abends sind wir noch ins Kino. Ein Bollywood-Schinken in Mumbai musste einfach sein!  “Happy Ending”. Auf Hindi mit vielen englischen Einsprengseln, so dass wir irgendwie folgen konnten. Großartiges Klischeekino, bunt, witzig, der indische Traum vom Reich- und Schönsein, wie ihn sicher die meisten der jungen Inder, die am Wochenende auf die Poolterrasse des InterConti strömen, träumen. Nun hatten wir sie also auch kennengelernt, die Bollywoodgrößen aus Mumbai: Govinda, Saif Ali Khan und Ileana D’Cruz.

Leider spielte der Film nur ganz am Schluss in Mumbai, hauptsächlich in Kalifornien, wo wir beide noch nicht waren! Aber immerhin: den Nariman Point beim Happy End haben wir sofort wiedererkannt.

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Mumbai Tag 2

Wir haben uns heute ein Taxi bestellt und uns zu den Sightseeing-Highlights Mumbais fahren lassen. Zuerst Gateway of India. Alles war streng bewacht, man musste, um zum Tor vorzudringen, wieder durch den Taschen- und Bodycheck. Es war heiß und diesig, viele Touristen ließen sich von Profi-Fotografen oder solchen, die vorgaben dies zu sein, ablichten. Dieses Tor war also 1911 zu Ehren eines Besuchs von König George V. und Queen Mary erbaut worden und ist seitdem das Mumbais Wahrzeichen. Gegenüber das von dem Großindustriellen Tata aus Rache erbaute Taj Mahal von Mumbai. Herrn Tata wurde damals als Nicht-Weißem der Zugang zum besten Hotel der Stadt verweigert, und schwups, ließ er ein eigenes, natürlich viel schöneres direkt daneben bauen. Seines hat überlebt, (das andere nicht) und dürfte das teuerste Hotel Mumbais sein. Als Touri hat man nach dem üblichen Sicherheitscheck Zugang, als bettelarmer Straßeninder eher nicht. Soweit ging die Rache von Herrn Tata dann doch nicht.

Wir schauten uns eine Weile das bunte Treiben am Hafen an, und schmiedeten Pläne für die nächsten Tage. Weiter ging es zum Chhatrapati Shivaji Terminus, zu dem von den Engländern 1887 erbauten Victoria Terminus, ein überaus prunkvolles, reich verziertes Gebäude, das zum Weltkulturerbe zählt. Von den Millionen Berufstätigen, die täglich die Sicherheitsschleusen vor den Gleisen passieren, und hinein- und herauseilen, schien es allerdings kaum noch als Juwel wahrgenommen zu werden. Wer kann es ihnen verdenken? Um den Bahnhof herum: Basar. Saftbuden – die leckersten frisch gepressten Fruchtsäfte wurden angeboten, man wird süchtig danach – Imbisse, Kopier-, Druck- und Internetstände, Schuhputzer, alles, was das Herz begehrt. Man fragt sich ob des überwältigenden Waren- und Dienstleistungsangebots wie die vielen Menschen bloß davon leben können.

Wir ließen uns den Marine Drive entlang fahren und machten beim InterConti eine Cola-Pause. Mit neun Euro waren wir dabei. Diesmal hatten wir die Dachterrasse im ersten Stock für uns allein. Und auch in die Poolbar gelangten wir ohne Gedrängel, nur zum Gucken. Es wurde gerade aufgeräumt und sauber gemacht. Ja, sehr chic hier oben! Hamburg kann allerdings mit seinen Rooftop-Bars im Sommer durchaus mithalten.

Nächster Stop am Chowpatty Beach: Zum Baden sei es hier wenig geeignet, zu schmutzig! Abends solle es hier schöner sein, wussten wir schon von unserem Taxifahrer. Deshalb ging es schnell weiter. Nächster Halt: das Mausoleum von Haji Ali Bukhari, einem muslimischen Heiligen, mit Moschee. Wir gelangten über einen langen Damm zum Inselgrabmal des Mystikers. Links und rechts von den Fußgängerströmen Verkaufsbuden mit Kitsch und Plunder der grässlichsten und eigentlich überflüssigsten Sorte. Wir fragten uns einmal mehr: “Wer soll das bitteschön alles kaufen?” Und ganz am Rand, den ganzen Damm entlang, Bettler, Krüppel ohne Hände ohne Beine, warum? Die grausamsten Verdächtigungen gehen einem nie mehr aus dem Kopf – schlafende kleine Kinder, manchmal völlig allein ohne ihre Mütter. Wer passt bloß auf, dass sie nicht ins Wasser fallen, wenn sie aufwachen? Das Heiligtum interessierte uns eher weniger, aber die vielen Menschen drumherum, die an einem Stand auf ein Essen auf Discountmarken warteten, scheinbar fröhlich am Baden oder am Waschen waren, oder ihre Schlaflager in dem Rohbau – vielleicht ein zukünftiges Hotel? – neben dem Mausoleum eingerichtet hatten, und sich im schönsten hellgelben Chiffonkleid ihr langes, schwarzes Haar kämmten – Mumbais Schneewittchen warteten auf den Prinzen – waren wieder incredible.

Danach ging es auf den Malabar Hill, zu den Hängenden Gärten. Es war eine schöne Parkanlage mit Büschen, die schon mal in Form eines Pfaus geschnitten waren oder mit netten Plätzen im Schatten, die zum Verweilen einluden – aber das wars auch schon. Gleich nebenan der Kamala-Nehru-Park, mit einem Schuh als Spielgerüst für Kinder. Im letzten Moment konnte ich Dieter davon abhalten, auf den Schuh zu steigen, er war nur für bis Zwölfjährige ausgelegt.

Wir haben die Türme des Schweigens gar nicht gesehen, wo es zur parsischen Bestattungszeremonie gehören soll, auf der Turmspitze menschliche Leichen den Geiern zum Fraß zu überlassen. Abgesehen davon, dass man dort sowieso keinen Zutritt gehabt hätte, reichte uns diese Vorstellung in unserer Phantasie völlig aus, und wir hatten an Elendseindrücken für die nächste Zeit eh genug. Weiter ging es über die Sealink-Hängebrücke, vorbei an edlen Geschäften und vornehmen Häusern – zwischendurch aber immer wieder Arme, Kühe, Dreck und Motor-Rikschas – zum Juhu-Strand. Dort haben wir dann tatsächlich unsere Füße ins Arabische Meer gesteckt. Es war brütend heiß und feucht um die Mittagszeit, wir setzten uns auf eine Imbissterrasse in den Schatten und bestellten ‘ne Pizza. Direkt unter uns die Dächer von mit Satellitenschüsseln ausgestatteten Slum-Verkaufsbuden und dahinter: weiter, goldener Strand.

Als wir zum Taxi zurückkamen, war unser Fahrer eingeschlafen und schnarchte fröhlich vor sich hin. Wir haben vorsichtig an die Scheibe geklopft – war schon okay. Die Rückfahrt war schwierig: Feierabend-Verkehr in Mumbai. Wir haben zwei Stunden länger gebraucht als bei der Hinfahrt, die meiste Zeit standen wir im Stau. Unserem Taxidriver war das sehr unangenehm, und nachdem er zwei waghalsige Überholmanöver in atemberaubender Geschwindigkeit unternommen hatte, versicherten wir ihm, dass wir für heute sowieso genug gesehen hätten und überhaupt: Safety First!

 

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