São Paulo Tag 2

Wir sind Metrô gefahren, mit der Linha 2 von Vila Madalena nach Trianon-Masp, zum Museu de Arte de São Paulo. Um 10 Uhr morgens gab es kein Gedrängel, es war angenehm und komfortabel. Das Museum beherbergt manch großes Kunstwerk aus der Pariser Kunstszene vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. In Erinnerung geblieben ist mir das “Porträt der Prinzessin Bibesco” von Edouard Vuillard aus dem Jahr 1920. Es zeigt eine Frau in einem großen Raum, völlig unscheinbar inmitten von tausend Statussymbolen. Sie wird definiert durch Dinge, die sie umgeben und nicht durch sich selbst. Ganz schön aktuell! Dagegen Picassos Porträt von “Suzanne Bloch”: ein ausdrucksstarkes Frauengesicht. Hier wurde eine Frau als Individuum porträtiert, das auf einen Charakter mit Ecken und Kanten schließen lässt. Nach dem Museumsbesuch sind wir die berühmte Avenida Paulista entlang geschlendert. Das war das totale Kontrastprogramm zu dem Naturschauspiel der Wasserfälle von Iguaçu. Ein Hochhaus neben dem nächsten, moderne Glaspaläste neben Kolonialbauten, dann wieder Parkgaragen – irgendwo müssen die vielen Autos ja hin, die jeden Tag zur Rushhour São Paulos Straßen verstopfen – dann wieder dazwischen kleinere Gebäude, hübsch verschnörkelt, ob die wohl unter Denkmalschutz stehen?

Beim Kulturzentrum machten wir eine Kaffeepause mit Orangensaft. Dann trafen wir Rodrigo an unserer Metrô-Haltestelle, holten unser Auto und los ging es nach Americana. Sein Vater, von Beruf Rechtsanwalt, und seine Großeltern wohnen dort und hatten uns eingeladen. Zweieinhalb Stunden waren wir unterwegs, zuerst aus dem Zentrum von São Paulo raus – ging hervorragend dank Dieters Navi und seiner Fahrkünste. Nur einmal hatte er sich verfahren und machte einen verbotenen U-Turn. Das hatten zwei Polizisten auf Motorrädern gesehen. Im Nu heulten ihre Sirenen auf, und wir mussten am Straßenrand anhalten. Der Eine zog doch glatt sofort seine Pistole – wir hatten völlig vergessen, dass er uns durch die getönten Scheiben nicht sehen konnte. Dieter kurbelte sein Fenster runter und meinte, dass er ihn nicht verstehen könne. Kimi drehte hinten ihre Scheibe runter, versuchte es mit Spanisch – zum Glück sagte Rodrigo kein Wort! Dem Polizisten wurde es zu lästig, uns zu erklären, dass Dieter den U-Turn nicht hätte machen dürfen, und er zog es schließlich vor, uns einfach weiterfahren zu lassen. Puh! Das war knapp! Weiter ging es, vorbei an Slums, dann auf Maut-Autobahnen. Americana hat etwa 200.000 Einwohner, dort ist Rodrigo aufgewachsen. Für ihn ist das eine Kleinstadt. Gegen 16 Uhr kamen wir an. Die ganze Familie erwartete uns schon: Rodrigos Großeltern, die leider kein Englisch sprachen, sein Vater, Marcos, seine zwei Jahre ältere Schwester, Patricia, und deren Studienfreundin Julia, beide Psychologie-Studentinnen.

Rodrigos Oma ist nicht nur eine talentierte Malerin – sie führte mich gleich nach unserer Ankunft durch ihr großes Haus, das in allen Zimmern mit ihren Werken – farbenfrohe Blumenbilder – geschmückt war, sondern sie ist auch eine hervorragende Köchin.

Sie hatte eine Gorgonzola- und eine Auberginencreme vom Feinsten vorbereitet – wir konnten gar nicht aufhören, davon zu essen. Da Rodrigos Mutter, als er zwei Jahre alt war, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, waren seine Großeltern immer zentrale Bezugspersonen für ihn, und auch Marcos hat die Unterstützung seiner Eltern bei der Erziehung seiner Kinder gut gebrauchen können. Nach der Vorspeise wurde gegrillt und geklönt und gelacht, es kam schnell eine super Stimmung auf. Dann kamen auch noch Marcos’ Bruder Robert, mit seiner Frau Patricia und den beiden Töchtern Bianca (16) und Julia (12) und Patricias Freundin Carolina. Rodrigo mixte Kimi und mir den besten Caipirinha, den ich je getrunken hatte – nur der arme Dieter durfte heute keinen Alkohol trinken. Er hat es ohne Murren durchgestanden. Alle fanden es schon sehr ungewöhnlich, mitten in der Woche ein solch umfangreiches Barbecue zu veranstalten, das macht man in Brasilien eigentlich nur am Wochenende. Die Zeit flog nur so dahin. Gegen 21:00 Uhr hieß es dann schon wieder Abschied nehmen – Rodrigo musste ja am nächsten Tag zur Uni – und am Sonntag würde er eine schwere Juraprüfung zu bestehen haben.

Wir machten uns auf die lange Heimfahrt. Meine Güte, waren jetzt viele LKWs auf São Paulos Stadtautobahn unterwegs! Rodrigo meinte, dass die nur abends fahren dürften. Dieter hat sich wacker an ihnen vorbei geschlängelt, immer rechtzeitig die Spuren wechselnd. Bravo! Total müde plumpsten wir um Mitternacht in unsere Betten.