Río de Janeiro Tag 3

Wieder war Sonntag. Dieter und ich sind jetzt genau seit fünf Wochen in Südamerika. Und schon jetzt ist klar: wir bräuchten mindestens doppelt so lange, um alles hier genauso genießen zu können, wie auf unserer Indienreise. Argentinien war klasse, abwechslungsreich und einzigartig. Die Wasserfälle von Iguaçu auf beiden Seiten großartig, und für Brasilien bräuchte man viel mehr Zeit, um sich einfühlen zu können. Aber schön, dass wir wenigstens vier Nächte in Río gebucht haben. Für heute waren sowohl in São Paulo als auch hier in Río große Demonstrationen angekündigt, von denen uns schon Rodrigo erzählt hatte. Immer wieder geht es in Brasilien um Korruptionsskandale, in die zahlreiche Politiker verwickelt sein sollen, auch Präsidentin Roussef von der Arbeiterpartei. Und das in diesem riesigen Land, das wirtschaftlich am Boden liegt, in dem es zum Himmel schreiende Armut und Ungerechtigkeit gibt, wo ganze Familien obdachlos auf der Straße schlafen… Eine Lösung ist nicht in Sicht. Friedliche Demonstrationen müssen wohl als ein winziges gutes Zeichen gedeutet werden, ein neuer Militärputsch schwebt als ständig drohende Gefahr in die falsche Richtung über dem Land. Wir wollten das Zentrum auf jeden Fall meiden. Wir nahmen einen Bus, den Carmen uns empfohlen hatte, um zum Fähranleger zur Insel Paqueta zu kommen. Wir waren ganz stolz, dass wir so schnell den richtigen erwischt hatten, knatterten in dem ollen Modell, in dem man sich nur schreiend unterhalten konnte, weil die Fenster so klapperten, die Pflastersteinstraße von Santa Teresa hinunter, und dann hielt er plötzlich an. Alle stiegen aus. Wir blieben sitzen. Wir waren doch noch gar nicht da! Der Busfahrer stieg aus. Kimjana lief hinterher und versuchte es auf Spanisch. Der verstand uns nicht. Anscheinend waren wegen der Demo Straßen gesperrt. Na gut! Wir wanderten zu Fuß weiter. Dieter immer mit seinem Navi in der Hand, aber zum Glück erkannten wir schon nach kurzem den Weg von gestern wieder. Die Straßen waren menschenleer und vermüllt. Wie kann man den ganzen Unrat bloß so lange liegenlassen? Das war ja fast schlimmer als in Indien! Dabei waren wir doch in der Touristenhochburg Río de Janeiro! Wir kauften drei Tickets für die Fähre nach Paqueta, und um halb zwölf legten wir ab.

Wir fuhren quer durch die ganze Bucht von Guanabara, unter der 13 Kilometer langen Ponte de Presidente Costa e Silva durch, die Río mit der Stadt Niterói im Osten verbindet – selbstverständlich sorgte an Bord eine Sambagruppe für gute Stimmung – und gelangten nach eineinhalb Stunden zur autofreien Insel Paqueta. Dort mieteten wir uns drei Fahrräder – es waren wie schon in Buenos Aires schlecht gewartete Schrottmühlen, meines gab zudem bei jeder Umdrehung einen nervtötenden Quietschton ab – aber wir kamen damit gut voran. Wir passierten mehrere kleine Strände, die uns allerdings nicht wirklich umhauten – mal schwamm eine Plastikflasche im Meer, mal war der Sandstrand nicht fein genug. Als wir an den Hauptstrand kamen, waren wir so durchgeschwitzt, dass wir unter einem Baum unsere Fahrräder abstellten und endlich schwimmen gingen. Eine richtige Abkühlung spürte man allerdings nur in den Zehen, wenn man mit den Füßen etwas tiefer kam. Ansonsten war das Wasser eher eine warme Brühe. Mir gefiel der Strand der Copacabana oder der von Ipanema, auch wenn er voller ist, besser. Hier auf Paqueta verbrachten zumeist – so schien es uns – Brasilianer ihren Sonntag. Sie hockten in Familien oder Gruppen zusammen, auch viele ältere Männer und Frauen waren im Wasser, ihre Bierdosen stapelten sich derweil am Strand, oder Pärchen sah man, die damit beschäftigt waren, von sich Selfies zu schießen oder einfach rumzuknutschen. Wir machten Siesta.

Gegen 15 Uhr trieb uns ein leichter Hunger wieder auf die Drahtesel, und wir fuhren zum Yachtclub von Paqueta, wo man essen konnte. Wir speisten ein Risoto de Bacalhau, ein typisch portugiesisch-brasilianisches Stockfischgericht – wird sicher nicht unser Lieblingsessen – und waren danach gut abgesättigt.

Um halb sechs ging es mit der Fähre zurück. Es war schön anzusehen, wie in Río die Lichter angingen, in der Ferne der Cristo grün auf dem Corcovado leuchtete, und wieder fuhren wir unter der Río-Niterói-Brücke durch, deren Straßenlaternen nun wie eine endlose Girlande über ihr zu schweben schienen.

Nach der besinnlichen Schiffsfahrt waren wir noch unternehmungslustig. Es sollte in der Nähe des Maracana-Stadions die Feira Nordestina stattfinden, ein Markt auf dem jeden Sonntag auf zwei Bühnen Live-Musik geboten wird, und wo sich vor allem die Migranten aus dem Nordosten Brasiliens treffen. Wir fuhren Metró und Taxi und schafften es, bis halb acht dort zu sein. Es war wirklich ein Spektakel. Überall gab es Musik, überall wurde getanzt, und das für uns Erstaunlichste: Es tanzten nicht nur junge Leute, sondern mindestens genauso viele ältere mit verzückten Gesichtern, engstem Körperkontakt und faszinierenden Hüftschwüngen zur Forró-Musik.

Um 21 Uhr schlossen die Markt- und Verkaufsstände, die Musik ging weiter. Wie lange, das wissen wir nicht. Wir nahmen uns ein Taxi und ließen den Tag auf unserer Dachterrasse hoch über der Bucht von Guanabara ausklingen.