Toronto Tag 2

25.7.2017 Toronto Tag 2

Unser Zimmer ist klein, aber gemütlich. Durch ein Oberlicht können wir vom Bett aus die Spitze des benachbarten Wolkenkratzers sehen. Nach einem ausgiebigen, liebevoll von unserer Wirtin Michelle zubereiteten Frühstück, ziehen wir los. Unsere Pension liegt zentral, alles soll zu Fuß gut erreichbar sein. Es ist warm, die Sonne scheint, und es weht ein leichter Wind. Vorbei an der Ryerson Universität, am  alten Tor zur Sportfakultät, dahinter moderner Neubau, ein schöner Park mit Kindergarten. Über 30000 eingeschriebene Studierende sollen hier lernen und forschen. Überall wird gebaut, Kräne, Arbeiter, Straßensperren, Ampeln. Statt Rot gibt es eine erhobene Hand als Stoppsignal.

Ein Mann liegt mitten auf dem Fußweg. Ich schaue mich um, niemand reagiert. Ich sehe, dass er atmet. Ich unterdrücke meinen Impuls zu fragen, ob ich ihm helfen könne. Warum?!  Vielleicht ist es nur eine Provokation, eine Aktion, um auf Armut auch in dieser nach Superlativen strebenden Stadt hinzuweisen? Ich fürchte, nein. Ich fürchte, dieser Mann, umringt von modernster Hochhausarchitektur und vorbeieilenden Menschen aller Nationalitäten und Klassen ist wirklich arm, und es geht ihm schlecht. Wir kommen zum Saint Lawrence Market. Viel Fleisch ist im Angebot, riesige Steaks, Fisch und Naschereien im Überfluss, Kaviar und Andenken. Wir machen eine erste kleine Trinkpause, beobachten das bunte Treiben.

Die Menschen sind freundlich, auch wenn sie nur ein Wasser verkaufen. Wir spazieren weiter. Nachdem wir das Straßengewirr von mindestens zwölf Spuren unter einer Brücke überquert haben – man wird bei jedem Abschnitt immer per Sekundenanzeige darauf hingewiesen, wieviel Zeit einem noch bleibt, bis wieder die Autos an der Reihe sind und die Stopphand erscheint -  kommen wir zum Ontariosee. Rechts ein verrosteter Kahn, auf dem gearbeitet wird, aber da vorn, links, da dösen Menschen am Ufer. Es ist Sand zu einem Strand aufgeschüttet worden, Stühle unter Sonnenschirmen laden zum Verweilen ein, kostenlos und für alle, sehr sympathisch! Hätte sich der Mann von der Straße nicht hier hinlegen können? Diedl, wir sind im Urlaub! Ich suche mir schnell einen freien Platz im Schatten und lasse dieses Glücksgefühl in mir wirken. Die Sonne knallt vom Himmel. Ausruhen, ankommen in Toronto, dieser boomenden Millionenstadt.

Nach einer Stunde verspüren wir neuen Tatendrang, schlendern die Waterfront entlang, rechts die Wolkenkratzergiganten, links der Ontariosee mit Segelbooten, Ausflugsdampfern und dem typischen Wasser-Hafengeruch, wie ich ihn von Alster und Elbe so liebe. Baden allerdings ist überall verboten. Warum? Gegenüber die Toronto-Inseln. Da werden wir wohl mal rüberfahren. Auf der langen Uferpromenade wird es um die Mittagszeit immer voller, touristischer. Überall werden Wassertaxis und Ausflugsfahrten angeboten. Nur: Für die Fähren ist das Anlegen drüben auf den Inseln zur Zeit verboten. Eine Folge der heftigen Regenfälle vom Mai, die Schäden sind immer noch nicht behoben. Die Einnahmeeinbußen  haben sich tief in die Gesichter der Wassertaxifahrer gegraben, auch wenn sie tapfer erzählen, dass sie dich an einem Teil der Insel für 10 CAD pro Person absetzen würden, ein Restaurant wieder geöffnet habe und sie dich auch bestimmt für weitere 10 CAD wieder abholen würden. Alle Schifffahrtsunternehmen werben damit, dass man sich für ihre beliebten Fahrten jetzt wenigstens nicht anstellen müsse. Schuld an der Misere sei wohl der Klimawandel, und überhaupt, man könne ja auch ohne Inselaufenthalt über den Ontariosee cruisen. Freuen können sich nun die Anbieter von Busreisen zu den Niagarafällen.  Wir schlendern weiter, zum nächsten Tourismushighlight Torontos, zum Canada National Tower. Von 1975 bis 2007 war er das höchste freistehende und nicht abgespannte Bauwerk der Welt mit seinen 553 Metern Höhe. Dann musste er den Superlativ an Dubais Burj Khalifa abgeben. Wir wollen uns vor Ort über aktuelle Besucherschlangen schlau machen. Ist überflüssig, man erfährt alles einfacher im Internet und bucht auch das Ticket am besten online. Wir verspüren leichten Hunger und das Bedürfnis nach einer Mittagspause. Es ist mittlerweile drei Uhr, und ich fürchte, ich habe schon einen Sonnenbrand. Wir essen im Goodman direkt an der Uferpromenade. Ich bestelle gefüllte Nachos und bekomme ein ganzes Tablett voll mit überbackenen Taccos, Bohnen, Avocadocreme und Salat. Dieter isst Pasta mit Salat und Chicken. Beides sehr lecker und sättigend.

Zurück gehen wir die Yonge St. entlang, Torontos Haupteinkaufsstraße und mit 1896 km die längste Straße der Welt. Sie entspringt sozusagen an der Grenze zu Minnesota, läuft von Norden nach Süden durch Toronto und mündet in den Ontariosee. Aber nicht einmal dieser Superlativ wird Toronto gegönnt. Nein, die Straße wurde zum Highway 11 umbenannt, der Ursprung in die USA verlegt und die Yonge Street offiziell auf jämmerliche 99 km verkürzt. Nur im Guinnessbuch gibt es noch den Eintrag über den Rekord.

Zurück in unserem Zimmerchen verarbeiten wir unsere Eindrücke.

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On tour nach Kanada

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Falsche Brille und wo ist der Hut?

24.7.2017 Wir sitzen am Hamburger Flughafen. Ohne Stress und zeitig wollten wir hier ankommen. Das sollte nicht sein. Dieter hatte in letzter Minute seine Brille nicht finden können. Wir haben eine halbe Stunde gesucht. Sie blieb verschwunden. Nun muss er mit seinem Uraltexemplar vorliebnehmen, und ich bin schon jetzt dabei, tief durchzuatmen. Gerade beginnt das Boarding. Wo ist mein Hut? Atemlos zurück zur Sicherheitskontrolle, das Band ist geschlossen. Jemand sagt: “an Bundespolizei wenden”. Der BuPo-Herr meint “Hut oder Flug?”, ich: “Flug”, er: “ich melde Sie an, 50 Meter, dritte Tür links”. Atemlos durch die Tür: “ich wurde angemeldet, ich vermisse…”. Da liegt mein Hut. Die BuPo-Frau: “Und gehört Ihnen diese Kulturtasche auch?” Ich kann es nicht fassen, meine sorgsam in eine durchsichtige Tasche verpackte Notkultur fürs Handgepäck liegt in meinem Hut. Atemlos zurück zum Gate. Hut, Boarding-Papier, Pass, Kulturtasche, Rucksack, Handtasche – alles dabei. So, jetzt sind wir in Sachen Schusseligkeit quitt. Nur: ich habe meine Sachen wieder.

Von Frankfurt geht es mit einer halben Stunde Verspätung, um halb drei, weiter. Auf nach Montréal! Einatmen, ausatmen, schlafen.

Um 22:00 Uhr unserer Zeit, 16 Uhr Ortszeit, also am helllichten Tage, kommen wir pünktlich in Montréal an.

Es regnet. Alles ist grau und nass, so richtiges Hamburger Schmuddelwetter, aber wenigstens warm. Welcome to Canada leuchtet über sämtlichen Schaltern der Passkontrolle im Wechsel mit Bienvenue au Canada. Wir dürfen einreisen. Der junge asiatisch-stämmige Zollbeamte wundert sich, dass wir 38 Tage hier bleiben werden. Ob wir denn gar nicht arbeiten müssten? Grins! Koffer einsammeln. Weiter. Geld tauschen. Weiter. Um 18:45 Uhr soll unser Anschlussflug nach Toronto gehen. Das Einchecken am Automaten klappt nicht. Nach dem fünften Versuch schickt uns ein junger Transat-Assistent zum Schalter. Irgendwas stimmt mit unseren Tickets nicht. Die Schalterfrau läuft mit unseren Pässen zu einem anderen Schalter. Die Zeit wird knapp. Wir müssen doch noch durch die Kontrolle! Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt sie zurück: Wir hätten einen Stand-by- Flug gebucht. Das nächste Mal sollten wir früher am Flughafen sein…Egal. Um 18:45 Uhr sitzen wir erschöpft aber zufrieden  in der ersten Reihe der Transat-Maschine nach Toronto. Vor uns wuseln zwei blutjunge Stewardessen, die Eine schwarz, die Andere weiß. Die Eine mit sehr langen, pinken Fingernägeln und sehr langen künstlichen Wimpern steht auf und macht uns Passagiere mit den Sicherheitsbestimmungen vertraut, die Andere liest vom Laptop den Text auf Englisch und Französisch ab. Dann setzen sie sich uns direkt gegenüber und schnallen sich kichernd und schnatternd an. Ein Gefühl von Sicherheit durch souveräne Flugbegleitung will sich bei mir nicht wirklich einstellen. Ich bin zum Glück viel zu müde, um lange darüber nachzudenken. Mir fallen die Augen zu. Wir sind jetzt schon 23 Stunden unterwegs. Gegen 20:00 Uhr Landung in Toronto. Beim Aussteigen ist mir leicht schwindlig. Beim Kofferband kann ich mich endlich hinsetzen. Unser Gepäck ist alles da, meine heruntergeladenen Navikarten funktionieren, wir finden ein Taxi und auf einer sechs- neunspurigen Autobahn geht es immer geradeaus nach Osten, vorbei an riesigen, schlanken Hochhäusern, ein gigantisches Lichtermeer hinter Glas. Auf meine Frage, ob das Büros oder Wohnungen seien, meint der Taxifahrer: “Wohnungen”. Er selbst lebe allerdings in einem Vorort. Wahnsinn! So eng beieinander und so hoch oben wohnen die hier. Mit 5,6 Millionen Einwohnern ist die Metropolregion Toronto die größte Kanadas, weit vor Montréal und Vancouver. Wir nähern uns dem Zentrum. Um 21:30 Uhr biegt der Fahrer von der Hauptstraße ab in eine kleine Seitenstraße mit Reihenhäusern aus dem 19. Jahrhundert, dreistöckig. Dahinter erheben sich die schlanken Glaspaläste. Nummer 31, das ist unsere Pension. Der Code stimmt, die Tür lässt sich öffnen. Wunderbar! Drei enge Treppen hoch, ein Begrüßungszettel an der Zimmertür: wir sind da. Endlich schlafen, bis morgen Toronto!